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Testamentsauslegung

Das Bayrische Oberste Landesgericht (BayObLG) hatte in einem Fall (1Z BR 93/04) eine Entscheidung über die Auslegung eines Testamentes zu treffen. In diesem Fall hat der Erblasser in einer früheren Verfügung seine Ehefrau als sogenannte Alleinerbin bedacht. Zu einem späteren Zeitpunkt hat er diesen Text allerdings mehrfach in diagonaler Richtung und seine Unterschrift insbesondere darunter in waagerechter Richtung durchgestrichen. Von dem Erblasser wurde ein neueres Testament verfasst, allerdings nicht ganz vollständig, denn er hat keine Regelung für die Erbeinsetzung getroffen. Allerdings hat er vermerkt, dass er dies noch vervollständigen wollte. Hierzu ist es leider nicht mehr gekommen. Nun ging es in dem so genannten Erbscheinverfahren um die Klärung, ob als Alleinerbin die Ehefrau eintritt oder ob die gesetzliche Erbfolge Anwendung finden sollte.

In § 2255 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist vorgesehen, dass ein Testament auch dann widerrufbar ist, wenn der Erblasser Veränderungen in dem Testament vornimmt, die eine Aufhebungsabsicht vermuten lassen. Als Beispiel dafür gilt ein durchgestrichener Text oder die durchgestrichene Unterschrift. Von dem Bayrischen Obersten Landesgericht, kurz BayObLG, wurde folgende Ansicht vertreten: Wurde ein Text durchgestrichen, drückt dies nicht zwingend die Absicht eines Widerrufes aus.

Streichungen in einem Testament bedeuten nicht unbedingt Widerruf

Möglich ist auch, dass es eher dem Willen des Erblassers entsprechen würde, wenn der Widerruf, der durch die Veränderungen in dem Testament erkennbar ist, erst dann Gültigkeit erlangt, wenn ein neu verfasstes Testament eingereicht worden ist.

Das kann besonders dann zutreffen, wenn aus der Sicht des Erblassers die Veränderungen in dem Testament der Vorbereitung eines Neuen dienen sollen und in diesem die durchgestrichene Verfügung später wieder Gültigkeit haben soll. Allerdings ist das Testament durch die Veränderungen widerrufen. Somit kann die Vermutung, von der der Gesetzestext ausgeht, nicht widerlegt werden. Besonders dann nicht, wenn der Text durch den Erblasser durchgestrichen worden ist und insbesondere dann nicht, wenn er seine Unterschrift zusätzlich durchgestrichen hat.

Das widerrufene Testament kann Auslegungshilfe sein

Möglich ist allerdings, dass ein widerrufenes Testament bei der Auslegung eines später angefertigten Testamentes, das noch unvollständig ist, herangezogen wird. Im Grundsatz gilt, dass neben dem festgeschriebenen Inhalt aus der Testamentsurkunde alle Fakten und Umstände Berücksichtigung finden und gewürdigt werden müssen, also auch die außerhalb des Ursprungstestaments. Dies gilt auch für früher aufgesetzte Testamente, die später aber widerrufen worden sind. Darauf, dass der Erblasser das Testament, das durch die Streichungen unwirksam geworden ist, gemeinsam mit der neu verfassten Verfügung in einem verschlossenen Umschlag aufbewahrt hat, zog das BayObLG den Schluss, dass durch den durchgestrichenen Text in der alten Verfügung eine noch nicht ausgefüllte Lücke in dem neuen Testament geschlossen werden sollte.

An diesem Fall ist deutlich erkennbar, dass vernichtete oder widerrufene Verfügungen nach dem Tod des Erblassers bei der Testamentsauslegung eines neueren Testamentes Berücksichtigung finden. Somit sollten Erblasser, die ihr Testament ändern möchten, besonders darauf achten, dass das zu einem späteren Zeitpunkt verfasste Testament ordentlich und vollständig errichtet wird. Die Zeit zwischen dem Widerruf des alten und der Errichtung eines zukünftigen Testamentes wird als Schwebezeit bezeichnet. In diesem Zeitraum sollten auf dem widerrufenen Testament Anmerkungen des Erblassers notiert werden. Hier sollte er kurz notieren, aus welchem Grund die Änderung oder Streichung erfolgt ist. Hierdurch ist es möglich, das neu verfasste Testament im Sinne des Erblassers und seines Willens auszulegen.